Weihnachten 2021

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.

1. Joh. 3,1-5: 1 Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt. 2 Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; es ist aber noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden. Wir wissen: Wenn es offenbar wird, werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. 3 Und jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist. 4 Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Unrecht. 5 Und ihr wisst, dass er erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde.

Liebe Gemeinde!
Vor vielen Jahren sollte ich einen reichen Industriellen bestatten. Beim Trauergespräch saß die Witwe des Verstorbenen, der Sohn, die Schwiegertochter, und dann kam noch eine Dame dazu, und der Sohn sagte zu mir: „Ich hoffe, Sie haben Verständnis, wenn sich unsere Haushaltshilfe dazusetzt, sie hat in der letzten Zeit so viel für die Eltern getan.“ Und ich dachte mir: Schau an, so ein Unterschied ist es, ob man zur Familie gehört oder nicht. Da kann man noch so gut und vertraut mit einer Familie sein – wenn man nicht zur Familie gehört, dann ist man doch ein Stück weit außen vor oder unten drunter, und man muss schon Besonderes leisten, um ein Stück weit dazuzugehören.
Wie gut, dass Weihnachten eine ganz andere Botschaft für uns bereit hat: Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Wir werden durch die Geburt Jesu Christi sozusagen Mitglieder der heiligen Familie – so wie die Hirten, die einfachen abgerissenen Männer, die zum Kind in den Stall durften, so wie die Weisen aus dem Morgenland, die in all ihrer Vornehmheit doch kleiner waren als das Kind. Wir dürfen dazugehören, wir sind Gottes Kinder. Das ist mehr als nur einfach Untertanen oder Dienstboten zu sein. Das bedeutet: Wir stehen Gott nahe. Er liebt uns nicht, weil wir uns das durch besondere Leistungen verdienen. Sondern so wie Eltern ihre Kinder lieben: einfach, weil sie da sind und weil es eben die eigenen Kinder sind, liebenswert schon dann, wenn sie nicht viel mehr können als herumliegen, schlafen, trinken und schreien. Ja, wir dürfen bei Gott zur Familie gehören. Ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk.
Aber dieses Geschenk bedeutet noch mehr. Kindsein, das verlockt ja viele gar nicht. Manche sagen: „Meine Eltern haben sich nicht gut um mich gekümmert, waren zu wenig für mich da.“ Andere sagen: „Meine Eltern haben mich unter Druck gesetzt, zu viel erwartet, waren zu streng, haben mich hart bestraft.“ Ja, nicht alle Eltern in dieser Welt machen alles richtig, und von daher reizt auch nicht jeden das Kindsein. Aber es gibt auch die andere Sorte. Eltern, wo sich die Kinder wirklich wohl und zuhause fühlen. Eltern, die ihren Kindern helfen, erwachsen und selbständig zu werden. Eltern, die aber andererseits immer da sind, wenn das Kind alleine nicht klar kommt. Ich denke an Eltern, die ihre Kleinkinder laufen lassen, aber doch in der Nähe sind, bereit, sie aufzufangen. Und an Eltern, die das im übertragenen Sinne auch später tun: den Kindern etwas zutrauen, aber helfen, wenn es nötig ist, genau sehen, was die Kinder können und wo es Schwächen gibt, da sein, wenn die Kinder einmal verzweifelt sind und sich selbst nicht mehr zu helfen wissen. Wer solche Eltern hat, der kann sich frei und geborgen zugleich fühlen. Und im Idealfall wird aus dem Eltern- Kind- Verhältnis eine liebevolle Beziehung auf Augenhöhe, wo die Kinder einsehen, was die Eltern bei der Erziehung bewegt hat und wo die Eltern Zutrauen zu den Kindern haben, weil alle an einem Strang ziehen.
Und genau diese Hoffnung dürfen wir haben. Wir dürfen hoffen, dass wir frei sind. Gott kam nicht als Machthaber, der uns an die Kandare nimmt, sondern als kleines Kind, als einer, der uns einlädt, ihm zu folgen. Aber nicht nur das, wir dürfen hoffen, dass wir geborgen sind und dass Gott uns annimmt, wie wir sind. Zu ihm dürfen wir auch kommen, wenn alles schief gelaufen ist.
In seinem Lied „Zeugnistag“ schreibt Reinhard Mey, wie er bei einem sehr schlechten Zeugnis die Unterschriften seiner Eltern fälschte. Der Schulleiter bestellte beide Eltern ein – und die, anstatt (wie der Schulleiter es wohl heimlich hoffte) das Kind zu bestrafen, bestätigen: „Das sind unsere Unterschriften. Und Reinhard Mey sagt, dass man freilich darüber diskutieren kann, ob das gerecht ist, aber dass für ihn in all den Jahren die wichtigste Lektion lautete: „Wie gut es tut, zu wissen, dass dir jemand Zuflucht gibt, ganz gleich, was du auch ausgefressen hast!“
Ja, auch wir dürfen immer wieder zu Gott zurückkommen, selbst wenn wir etwas Schlimmes ausgefressen haben. Freilich, für Gott bleibt Unrecht Unrecht, so wie es für Reinhard Meys Eltern vermutlich auch war. Und doch hört auch bei unserem Unrecht Gottes Liebe nicht auf.
Und noch mehr: Wir sind nicht nur frei und geborgen, sondern es kommt der Tag, da werden wir Gott sehen. Da werden wir einsehen, warum er alles so gelenkt hat, wie es war. Da werden wir sagen können: „Ja, es war gut so.“ Wir werden mit Gott an einem Strang ziehen und im Frieden mit uns selbst und unseren Mitmenschen sein.
Ein Leben in Freiheit und Geborgenheit mit einem guten Ziel, das schenkt uns Gott mit der Geburt Jesu Christi.
Und damit ändert sich unser Leben schon jetzt. Denken wir noch einmal an Reinhard Mey. In ihm ist durch die Vergebung seiner Eltern auch die Dankbarkeit zu ihnen gewachsen. Und ich stelle mir vor: Wenn er seine Eltern mehr geschätzt hat, war das für ihn ein Ansporn, auch mehr so zu handeln wie es seine Eltern wollen.
Und so kann es auch für uns sein: Wir dürfen bei Gott zur Familie gehören, in Freiheit und Geborgenheit und mit einer guten Zukunft leben. Wenn Gott uns solche Liebe erweist, dann gibt es eine sinnvolle Antwort darauf: schon jetzt gegen die Sünde in uns ankämpfen. Oder, anders ausgedrückt: schon jetzt im Einklang mit unserem liebenden Vater leben wollen.
Wie könnte das aussehen?
Familie Glück freut sich, dass sie an Weihnachten zusammen sein kann. Und die schönen Tage haben Familie Glück auf eine Idee gebracht: Früher haben sie an Weihnachten immer überlegt, wem es gerade nicht so gut geht, und diese Leute haben sie dann zu Silvester eingeladen. Seit Corona sitzen sie am Weihnachtstag zusammen und verfassen gemeinsam lustige und aufbauende Silvestergrüße zum Verteilen an die Bekannten, die es gerade schwer haben.
Marita ist genervt. Die Familie ist gerade gar zu anstrengend, der Querdenker, der sie schon den ganzen Tag zu überzeugen versucht, der wütend widersprechende Arzt in der Verwandtschaft, die weinerlichen Kinder, die ihre Freunde nicht besuchen können. Marita würde sie am liebsten nach Hause schicken. Dann fällt ihr ein Bild ein, das sie neulich gesehen hat: die heilige Familie und dabei ganz viele verschiedene Leute von heute. „Wir gehören ja alle auch zur heiligen Familie. Jesus ist unser Bruder geworden“, denkt sie. Und merkwürdig, dieser Gedanke erinnert sie daran, wie viel jeder von den nervigen Verwandten doch Gott wert ist. So kann Marita wieder neue Geduld fassen.
Wegen Corona kann Herr Geist nicht zu seinen Verwandten fahren. Alle bemitleiden ihn, dass er Weihnachten und Silvester allein verbringen muss. Aber er sagt: „Ich bin ja nicht allein. Ich darf bei Gott zur Familie gehören und bin deshalb durchs Gebet mit ganz vielen Menschen verbunden. Und so nehme ich mir Zeit zum Beten. Und ein bisschen schön machen mit Verwandtentelefonaten, Briefe schreiben, einem guten Tee oder einem Buch kann ich auch allein.“
Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Wir dürfen bei Gott zur Familie gehören. Ich wünsche Ihnen, dass Sie das spüren und dass es Ihnen zum großen Weihnachtsgeschenk wird und dass Sie gerne auch etwas davon weitergeben. Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.   

Guter Gott, Jesus ist unser Bruder geworden, wir dürfen deine Kinder sein, frei und doch geborgen. Dafür danken wir dich und bitten dich: Lass uns deine väterliche Fürsorge spüren, damit wir echte Weihnachtsfreude empfinden und weitergeben. Amen.

Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Es segne und behüte dich der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und