Sept. - 13. So. n. Trinitatis

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des
heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen.
Lk. 10,25-37: 25 Und siehe, da stand ein Gesetzeslehrer auf, versuchte ihn und sprach:
Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe? 26 Er aber sprach zu ihm: Was
steht im Gesetz geschrieben? Was liest du? 27 Er antwortete und sprach: »Du sollst den
Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft
und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst« (5. Mose 6,5; 3. Mose
19,18). 28 Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet; tu das, so wirst du leben. 29 Er
aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster? 30
Da antwortete Jesus und sprach: Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach
Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich
davon und ließen ihn halb tot liegen. 31 Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße
hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. 32 Desgleichen auch ein Levit: Als er zu der
Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. 33 Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam
dahin; und als er ihn sah, jammerte es ihn; 34 und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf
seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge
und pflegte ihn. 35 Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt
und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich
wiederkomme. 36 Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste geworden dem, der
unter die Räuber gefallen war? 37 Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach
Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!
Liebe Gemeinde!
Janine fährt durch eine einsame Allee. Es ist Nacht. Auf einmal am Straßenrand ein Wagen
– gegen einen Baum geprallt. Niemand zu sehen. Gerade vor einer Viertelstunde kam noch
im Radio die Warnung, dass immer wieder Kriminelle einen Unfall nachstellen und
Menschen, die helfen wollen, dann überfallen. Was soll sie tun?
Pfleger Helmut ist den ganzen Tag im Trab über die Flure gelaufen, um den vielen Kranken
zu helfen, die gerade in der Klinik sind – und das mit halber Belegschaft, da gerade einige
Kollegen krank sind und ganz viele Urlaub haben. Helmuts Kopf schmerzt furchtbar. Er ist
froh, dass seine Schicht ein Ende hat und dass er morgen einmal frei hat. Plötzlich hinter
ihm der Stationsleiter: „Helmut? Kannst du morgen einspringen? Helene hat sich krank
gemeldet, und es haben doch so viele Urlaub haben.“ Der Stationsleiter ist ok, er springt
selber immer ein, wenn Not ist. Eigentlich hilft Helmut gern. Aber er ist so erschöpft,
außerdem hat er seiner Frau versprochen, morgen den Rasen zu mähen. Was soll er nur tun?
Muss denn immer er einspringen?
Paul sitzt vor dem Fernseher. Nachrichten aus der Ukraine, Bilder von weinenden
Menschen, die ihr Haus verloren haben. „Wenn man den Menschen dort nur helfen könnte“,
denkt Paul. Da kommen schon Bilder von Flüchtlingen, dann Bilder von ausgemergelten
Afrikanern, denen das Getreide aus der Ukraine zum Überleben fehlt, danach noch Bilder
von Unwetteropfern. Paul schwirrt der Kopf: „Wo man überall helfen sollte und ist doch so
machtlos! Wo soll man denn da anfangen?“ Es klingelt. Ein Kind steht vor der Tür: „Ich
sammel für den Bund Naturschutz.“ Noch ganz verwirrt von den vielen Bildern steht Paul
vor dem Kind.
Ja, wenn man diese Beispiele so ansieht, dann kommt einem die Frage des Schriftgelehrten
gar nicht so dumm vor, der gefragt hat: „Wer ist denn mein Nächster, dem ich helfen soll?“
Es ist halt nicht immer so eindeutig wie in der Geschichte vom barmherzigen Samariter: Du
gehst die Straße entlang. Weit und breit kein Mensch in der Wüste, und da kann sich auch so
schnell keiner verstecken. Nun liegt da ein Verletzter. Selbst wenn er kriminell ist, ist er viel
zu schwach, sich zu wehren. Und du, nur du, kannst helfen.
Aber selbst da hatten ja Menschen Mühe, die Prioritäten zu sortieren; der Priester und der
Levit schätzen ihren Dienst im Tempel als wichtiger ein denn die Hilfe am Opfer des
Räubers.
Eigentlich ist es doch kein Wunder, dass wir, wenn Pflichten und Erwartungen kollidieren,
fragen: „Wer oder was ist jetzt am wichtigsten?“ Und dass wir vielleicht sogar unsicher sind
oder falsch entscheiden. Was stört also Jesus an der Frage, und was will er uns mit diesem
Gleichnis sagen?
Nun, ganz offenbar hat der Schriftgelehrte eine Antwort im gesetzlichen Sinne erwartet mit
Kriterien wie „Ausländern muss man nicht helfen“ oder „Nach 22 Uhr kann keiner mehr
Hilfe verlangen“ oder „drei gute Taten am Tag sind genug.“
Aber Jesus sieht das ganz anders. Bei der Nächstenliebe gibt es eben keine Grenze. Es gibt
keine Menschengruppen, die wir von der Nächstenliebe ausschließen dürfen. Es gibt keine
Uhrzeiten oder Wochentage, wo wir frei sind vom Nächstenliebegebot. Es gibt auch keine
Einsatzzahl, die wir vorweisen müssen.
Das ist auch richtig und wichtig. Stellen Sie sich nur einmal vor, jemand tut etwas für Sie –
und er strahlt dabei die ganze Zeit die Haltung aus: „Nun ja, das muss ich ja wohl oder übel
machen, weil es meine Pflicht ist.“ Da spürt man dann, dass eine gute tat schon nicht mehr
ganz so wohl tut. Viel besser ist es, wenn jemand vermittelt, etwas gerne und mit Hingabe
zu tun. Und das gelingt nicht, wenn wir immer nur darauf schielen, ob wir unser „Soll“
schon erfüllt haben und den Griffel fallen lassen können.
Echte Nächstenliebe entsteht nämlich nicht aus Pflichtbewusstsein, sondern aus Mitgefühl.
Indem wir uns in andere hineinversetzen und uns überlegen: „Angenommen, ich wäre in
seiner Lage und hätte seinen Charakter, was würde mir dann wohl gut tun?“ Und indem wir
dann an anderen das tun, was wir uns für uns selbst auch wünschen würden. Und dieses
Mitgefühl, das wünscht sich Jesus von uns. Denn dann sind wir barmherzig und voll
Nächstenliebe, und wir werden, ohne mühsam über Grenzen oder Mindestzahlen
nachzudenken, Gutes tun.
Und da entsteht Nächstenliebe, wie sie sein soll: Da sehen wir die anderen in ihrer Not. Da
sind unsere Herzen nicht hart, sondern wir sind offen und bereit, zu helfen, wo wir können.
Da entwickeln wir vielleicht Gespür dafür, wer uns besonders braucht, und wir entwickeln
Phantasie in der Frage, wie gute Hilfe aussehen kann. Wir entwickeln auch den Mut,
tatsächlich Grenzen zu setzen, wenn jemand Notlagen nur provoziert. Wir helfen gern, aber
wir verkraften es dann auch besser, dass wir nicht überall helfen können. Jesus will in
Sachen Nächstenliebe keine verkniffene Erbsenzählerei, sondern freudiges, großzügiges
Helfen, Anteilnehmen und Geben.
Und was die Sache noch schöner macht: Jesus hat selbst die allergrößte Barmherzigkeit
vorgelebt. Für uns ist er bis in den Tod gegangen. Also ist Nächstenliebe und
Barmherzigkeit, wie Jesus sie will, keine überzogene Forderung, die uns unter Druck setzt.
Sondern sie ist Weitergeben der Liebe, die uns geschenkt wurde. Und selbst wenn wir
immer wieder versagen, lohnt es sich doch, immer wieder neu anzufangen, denn Jesus
nimmt uns auch an, wenn wir in Sachen Nächstenliebe versagt haben. So kann er uns die
Kraft geben, es immer wieder zu versuchen mit einer großzügigen Nächstenliebe, die gerne
gibt.
Und wo wir im Vertrauen auf Jesus gerne Nächstenliebe geben, da finden sich dann auch oft
sinnvolle Lösungen in der Frage, wem wir wie helfen sollen.
Janine traut sich in der Nacht und so allein tatsächlich nicht, aus dem Auto auszusteigen und
nachzusehen, was geschehen ist. Also fährt sie mit Warnblinker rechts ran, macht ihre
Schließanlage zu, zückt ihr Handy und ruft den Notdienst. Sie hat eine Lösung gefunden,
wie sie Nächstenliebe üben kann, ohne sich zu gefährden.
Pfleger Helmut ist wirklich erschöpft und hat seiner Frau das Rasenmähen versprochen,
aber er sieht auch, in welcher Not der Stationsleiter ist. Er erkundigt sich: „Wen hast du
denn schon gefragt?“ „Sibylle, aber die hat morgen früh einen Arzttermin“, erklärt der
Stationsleiter. „Wie wäre es dann, wenn ich morgen nur am Vormittag komme? Dann habe
ich nachmittags Zeit fürs Rasenmähen und für die Familie. Und Sibylle kann nachmittags
kommen, da ist ihr Arzttermin herum.“ Der Stationsleiter ist erleichtert und stimmt zu, und
seltsamerweise fühlt sich auch Pfleger ein bisschen besser. Er hat den Stationsleiter nicht
hängen lassen und kann trotzdem für seine Familie da sein. Er hat eine Lösung gefunden,
wie er helfen kann, aber auch an seine Kräfte denkt.
Paul steht vor dem Kind, das für den Bund Naturschutz sammelt. Er reißt seine Gedanken
los vom Fernseher und denkt sich: „Das Kind fragt mich jetzt, das bekommt jetzt auch
etwas.“ Er gibt dem Kind seine Spende. Und dann kommt ihm eine Idee: Er wird ein Konto
eröffnen, auf das er im Rahmen seiner Möglichkeiten jeden Monat etwas überweist. Dann
kann er, wenn ihn eine Not bewegt, kann er von dem Konto spenden, ganz nach Lust und
Laune. Und wenn er spenden will und nicht weiß, an wen, dann wird er einfach losen. Am
selben Abend eröffnet Paul das Konto, überweist einen Betrag an die
Diakoniekatastrophenhilfe und fühlt sich schon viel besser.
Ja, es tut doch gut, wenn wir Mitgefühl haben, statt zu rechnen, ob wir jemandem noch eine
Wohltat schuldig sind. Dann macht Helfen uns Freude, und vielleicht zieht das Helfen dann
auch Kreise. Da feiert die Nächstenliebe einen fröhlichen Sieg, und das schenke Gott uns
allen. Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in
Christus Jesus. Amen.
Herr Jesus Christus, du hast uns Barmherzigkeit vorgelebt und erwiesen. Dafür danken wir
dir und bitten dich: Hilf uns, die Liebe, die du uns erwiesen hast, weiterzugeben, indem wir
an anderen Anteil nehmen, Mitgefühl haben, mit anderen teilen und anderen helfen, wo wir
können. Besonders bitten wir dich für die vielen drängenden Weltprobleme: Zeige uns
Wege, wie wir Leid mildern und Menschen wirksam helfen können, und mache uns bereit
dazu. Leite uns und steh uns bei auf allen Wegen. Amen.
Vater unser im Himmel. Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille
geschehe, wie im Himmel, so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute. Und vergib uns
unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und führe uns nicht in
Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und
die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Es segne und behüte dich der allmächtige und barmherzige Gott, der Vater, der Sohn und der
heilige Geist. Amen